Vorbilder: Elisabeth Schmitz
BERLINER GEDENKTAFEL
»Mir aber zerriß es das Herz …«
An dieser Schule unterrichtete
die bekennende protestantische Christin
ELISABETH SCHMITZ
23.8.1893 – 10.9.1977
Als Pädagogin verweigerte sie die Mitwirkung an der Formung
des nationalsozialistischen Menschen auf rassistischer
und totalitärer Grundlage
Als Theologin verwies sie auf die jüdischen Grundlagen
des Christentums
Als Christin engagierte sie sich im Widerstand gegen die Shoa
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Studienrätin Dr. Elisabeth Schmitz
Sie war von 1935 bis Ende 1938 an unserer Schule tätig. Sie erfuhr die damals immer weiter um sich greifende Durchdringung des Schullebens mit dem Nazi-Geist. Schließlich musste sie vor dem Nazi-Terror kapitulieren. Sie wollte und konnte nicht weiter mitmachen:
„ Es ist mir in steigendem Maße zweifelhaft geworden, ob ich den Unterricht bei meinen rein weltanschaulichen Fächern – Religion, Geschichte, Deutsch – so geben kann, wie ihn der nationalsozialistische Staat von mir erwartet und fordert“1
„(…) Die jahrelange Verhetzung durch Partei, Presse, Rundfunk machte sich immer stärker bemerkbar, auch bei Kindern. Eine Erziehung zur Wahrhaftigkeit, zu Selbstverantwortung, zu Objektivität, zu Menschlichkeit wurde in der Atmosphäre von Subalternität, von Hass, von Rassendünkel und Vergötzung des eigenen Volkes immer unmöglicher (…).2
Beeinflusst u.a. durch die zunehmende Pogromstimmung kündigte Frau Dr. Elisabeth Schmitz zum 31.12.1938 den Schuldienst (…).
1935 hat sie noch versucht mit ihrer Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“ auf die immer mehr gefährdeten Juden und Minderheiten aufmerksam zu machen. Sie stand diesbezüglich in regem Gedankenaustausch mit Vertretern der Bekennenden Kirche in Dahlem und Zehlendorf, insbesondere mit den Pfarrern Martin Niemöller, Dietrich Bonhoeffer, Karl Barth und Helmut Gollwitzer. Als Mitglieder der Bekennenden Kirche stellte sie die Frage: „Warum tut die Kirche nichts?“
Der hinter dieser Frage stehende Vorwurf ist dann ja auch etliche Jahre später (1963) von Rolf Hochhut der katholischen Christenheit gegenüber in dem Drama „Der Stellvertreter“ erhoben und eindrucksvoll bearbeitet worden.
Zu ihrer Enttäuschung fand sie aber auch bei der Bekenntnissynode in Berlin-Steglitz (1935) kaum Gehör. Eventuell gab es auch hier zu viel Ängstlichkeit, um die in dieser Denkschrift eindringlich formulierten Warnungen und Mahnungen ernstzunehmen und kirchenpolitisch wirksam zu berücksichtigen.
Bis zu ihrem Tode (1977) geriet Elisabeth Schmitz nahezu in Vergessenheit. Erst seit 2004 erfährt sie posthum angemessene Würdigungen. In Hanau wurde 2005 für die ehemalige Lehrerin ein Ehrengrab geschaffen. Zurzeit hat die Stadt Hanau in Zusammenarbeit mit dem Hanauer Geschichtsverein beantragt, sie in Yad Vashem in den Kreis der „Gerechten aus den Völkern“ aufzunehmen. Schließlich hat sie – konsequent ihrem Gewissen folgend – u.a. in ihrer Wohnung verfolgte Juden vor den Nazis versteckt.
Elisabeth Schmitz zählt zu den wenigen Lehrkräften, die ihren Widerstand gegenüber dem Nazi-Regime und ihre Empathie für die Opfer dieses Regimes verdeutlicht haben – auch wenn sie dafür viele Risiken eingehen mussten.
„Wer immer ein Menschenleben rettet, hat damit gleichsam eine ganze Welt gerettet.“3
In diesem Sinne hat unsere damalige Lehrerin Dr. Elisabeth Schmitz eine ganze Welt gerettet – mehrfach!
Mit Respekt und Stolz kann unsere heutige Schule auf ihre damalige Lehrerin zurückblicken.
Aus Anlass ihres 100-jährigen Jubiläums hat die Schule beschlossen, an ihre ehemalige Lehrerin an geeigneter Stelle im Schulgebäude gut sichtbar zu erinnern.
Weitere Informationen zu Dr. Elisabeth Schmitz:
An die Stätten außerordentlicher Begebenheiten zu erinnern, war schon immer ein Bedürfnis der Menschen. Dabei konnte es sich um den Geburts-, Wohn- oder Wirkungsort einer herausragenden Persönlichkeit handeln, aber auch um den Ort eines denkwürdigen Ereignisses, das wiederum in den meisten Fällen untrennbar mit dem Namen bestimmter Personen verknüpft war. Bereits aus der Antike ist dafür ein besonders prägnantes Beispiel überliefert: Es handelt sich um den Gedenkstein für die Opfer der „Schlacht am Thermopylenpaß“ (480 v. Chr.), in der Leonidas, König von Sparta, durch seine heldenhafte Verteidigung gegen das persische Heer zu unsterblichem Ruhm gelangte. Eingemeißelt in diesen Gedenkstein sind die durch Herodot überlieferten Worte, deren deutsche Fassung von Friedrich Schiller stammt:
„Wanderer kommst Du nach Sparta
verkündige dorten
du habest Uns hier liegen gesehen
wie das Gesetz es befahl“
Diese Form des Gedenkens blieb jedoch lange bedeutenden Herrschergestalten und Feldherren vorbehalten. Erst verhältnismäßig spät, etwa seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wurde es üblich, auch andere verdiente Bürger mit in das Gedenken einzubeziehen. Hier reichte die Skala vom Denkmal bis zum Straßennamen, die allerdings beide nur selten einen direkten örtlichen Bezug zu den zu ehrenden Personen hatten, so daß man allmählich dazu überging, in Form einer Gedenktafel einen solchen unmittelbaren Zusammenhang herzustellen. Dies geschah in kleinen Ortschaften ebenso wie in großen Städten. Insbesondere die nationalen Zentren Europas zogen magisch Wissenschaftler, Künstler, Fach- und Führungskräfte aus allen Bereiche an, die Herausragendes in und für diese Städte – die in den wenigsten Fällen auch ihre Geburtsorte waren – leisteten und denen man an der Stätte ihres Wohnens oder Wirkens gedenken wollte.
Für die Gestaltung entsprechender Gedenktafeln gab es jedoch keine Richtlinien; sie wurden aus unterschiedlichen Materialien in den verschiedensten Formen individuell gestaltet. Träger dieser Vorhaben waren in der Regel einzelne Personen, Vereine, Institutionen oder Firmen, die ein konkretes, meist fachspezifisches Anliegen für die Anbringung einer Gedenktafel hatten. Erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts gingen einzelne Kommunen, so beispielsweise die Hauptstädte Wien, Paris und London, dazu über, nach bestimmten Programmen und Vorschriften einheitlich gestaltete Gedenktafeln für Persönlichkeiten oder Institutionen, die Besonderes geleistet hatten, anzubringen. Andere Städte in Europa und Übersee folgten ihnen nach.
Im Gegensatz zu den anderen europäischen Metropolen hat sich Berlin erst verhältnismäßig spät, 1984 (also im Vorfeld der 750-Jahr-Feier), entschlossen, ein eigenes, einheitliches Gedenktafel-Programm aufzulegen. Zunächst war es allerdings nur West-Berlin, das dem Vorschlag des damaligen Landeskonservators, ein „Berliner Gedenktafel-Programm“ zu initiieren, folgte. Die Stadt konnte hierbei allerdings an eine historische Tradition anknüpfen, denn bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurden erste Gedenktafeln – meist Bronzetafeln – für bedeutende Persönlichkeiten angebracht.
In Anlehnung an die vergleichbaren Programme in London und Paris wurde 1984 zunächst festgelegt, daß alle Tafeln für das gesamte Stadtgebiet einheitlich zu gestalten sind. Hinsichtlich der Kriterien für die Aufnahme in das Programm orientierte man sich weitgehend an den „London – Criteria used in the evaluation of suggestions“, wie sie 1969 durch „The Greater London Council’s Historic Buildings Board“ angenommen und 1971 und 1975 ergänzt wurden. Grundlage für die äußere Gestaltung der Tafeln waren die Farben des Europäischen Denkmalschutzes, weiß/blau. Der Passus der „Londoner Kriterien“ jedoch, der besagt, daß ein Haus, an dem eine Gedenktafel angebracht werden soll, sich in seinem Originalzustand befinden muß, konnte indessen keine Berücksichtigung finden. Die Bomben des Zweiten Weltkriegs, die Teilung der Stadt und die danach in beiden Stadthälften einsetzende – auch politisch bedingte – „Zweite Zerstörung“ vernichteten Häuser und historisch gewachsene Straßenzüge, so daß die Anbringung einer Gedenktafel in den meisten Fällen nicht möglich gewesen wäre. Neben der Ehrung bedeutender Persönlichkeiten bzw. Stätten ist es daher u.a. auch ein Ziel des Berliner Gedenktafel-Programms, an das nicht mehr existente historische Stadtbild Berlins zu erinnern.
Als erster Sponsor des Berliner Gedenktafel-Programms konnte die Sparkasse gewonnen werden, die 1984 einen Wettbewerb auslobte, zu dem sieben Teilnehmer eingeladen wurden, die insgesamt 19 Entwürfe bzw. Entwurfsvarianten einreichten. Ein Preisgericht unter Vorsitz von Professor Karl H. Bröhan erkannte am 11. September 1984 den 1. Preis einstimmig der Arbeit mit der Tarnnummer 958392 zu, die der Graphikdesigner Wieland Schütz eingereicht hatte. Die Begründung der Jury: „Die Porzellantafel sowie die Typographie entsprechen an Einfachheit und Würde den Vorstellungen von einer Gedenktafel. Die erhabene Beschriftung „Berliner Gedenktafel“ fördert ... das Aufmerken und Einprägen, wodurch die Tafel zu einem Begriff werden könnte ... Material und der Rahmen in Form einer Berliner Leiste vermitteln einen Bezug zu Berlin. Die Schlichtheit der Tafel erlaubt eine Anbringung an jede Architektur ...“ Ausdrücklich hielt die Jury an der vorgeschlagenen Farbgebung der Tafel fest. Die Beschriftung sollte blau auf weißem Porzellan sein, die Abmessungen der Tafel mit dem in Aussicht genommenen Hersteller, der KPM, abgesprochen werden. Die bisher hergestellten 400 Porzellantafeln bestätigen eindrucksvoll die Entscheidung der Jury, und der prämierte Entwurf von Wieland Schütz hat über viele Jahre hinweg auch heute noch immer Bestand. Als Designer wirkt der Künstler weiterhin bei der Gestaltung jeder einzelnen Tafel mit, um die künstlerisch beste Lösung zu finden. Dabei gilt es, bei besonderen Anlässen auch besondere Wege zu beschreiten: Für das Gedenken an polnische Zwangsarbeiter wurden die ersten zweisprachigen (deutsch/polnisch) Tafeln gestaltet, und bei der Gedenktafel für den Komponisten Walter Jurmann sind als Notenbeispiel die ersten Takte seiner Komposition „Veronika, der Lenz ist da ...“ eingefügt worden. Auch für die Gestaltung von Doppeltafeln (z.B. „Franz und Emma Gumz“, „Otto und Hedwig Hintze“) hat Wieland Schütz eine künstlerisch überzeugende Lösung gefunden.
Nach der Wiedervereinigung der Stadt konnte das Programm dann auch auf die ehemaligen Ost-Berliner Bezirke ausgedehnt werden und damit auf den historischen Kern, in dem sich die für das Berliner Gedenktafel-Programm relevanten Adressen häufen. Dem trug auch der erste Sponsor des Programms, die Sparkasse, Rechnung und stiftete abermals einen ansehnlichen Betrag, um die Anbringung von Gedenktafeln nun auch in den neuen Bezirken zu ermöglichen. Die lange Anlaufphase bei der Bildung der neuen Bezirksämter im Ostteil der Stadt, die ungeklärten Eigentumsverhältnisse einzelner Grundstücke und Gebäude, die durch die Regierung der DDR vorgenommenen zahlreichen Straßenumbenennungen, die nun wieder in ihren alten Namen umbenannt bzw. neu benannt werden mußten, ließen die Realisierung des Gedenktafel-Programms in den neu hinzugekommenen Bezirken jedoch nur langsam voranschreiten, und eine 1997 notwendig gewordene Preiserhöhung der KPM um fast 300 Prozent pro Tafel ließ auch die von der Sparkasse zusätzlich zur Verfügung gestellten Mittel schnell schrumpfen, so daß dem Projekt im Jahr 2000 ein vorzeitiges Ende drohte. Doch Privatpersonen und einzelne Institutionen – die nun an die Stelle des ehemaligen Hauptsponsors traten – ermöglichten eine Weiterführung, wenn auch zunächst in einem bescheidenen Umfang. Durch die Unterstützung des Vorsitzenden des „Vereins der Freunde & Förderer der Historischen Kommission zu Berlin e.V.“, Staatssekretär für Kultur André Schmitz, eröffneten sich für die Weiterführung des „Berliner Gedenktafel-Programms“ jedoch neue Möglichkeiten: So konnte 2007 die GASAG Berliner Gaswerke AG als Sponsor für gewonnen werden, und auch die Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheit hat in der Zwischenzeit die Realisierung zahlreicher weiterer Tafeln ermöglicht.
Tagesspiegel, 31.3.2014, von Dirk Jordan
Den protestantischen Widerstand im Nationalsozialismus in Steglitz-Zehlendorf organisierten vor allem Frauen. Die Kirche hat das sehr lange nicht gewürdigt. Unser Autor erinnert anhand eines Buches an diese Heldinnen.
Wenn heute vom „protestantischen Widerstand“ die Rede ist, dann ist mittlerweile klar, dass vor allem von Frauen geschrieben und gesprochen werden muss. Noch vor 20 Jahren war das nicht so klar. Als Hans-Rainer Sandvoß 1986 sein Standardwerk zum „Widerstand in Steglitz und Zehlendorf“ veröffentlichte, nutzte er als Titelbild ein Foto von Martin Niemöller und Otto Dibelius und betonte damit die Bedeutung des protestantischen Widerstands im Bezirk, der in der Gemeinde Dahlem sein organisatorisches wie geistliches Zentrum hatte, vor allem in der von Helmut Gollwitzer gegründeten „dogmatischen Arbeitsgemeinschaft“.
Ohne die Bedeutung von Martin Niemöller gering schätzen zu wollen, die Rolle von Otto Dibelius ist wohl kritischer zu sehen, war die frühere Betonung der „großen Männer“ für die Bekennende Kirche nicht angemessen. Das hat noch einmal die verdienstvolle Sammlung von elf Lebensbildern protestantischer Frauen im Widerstand gegen die NS-Rassenpolitik, die unter dem Titel: Mit Herz und Verstand von Manfred Gailus und Clemens Vollnhals (ISBN: 978-3-8471-0173-4) im vorigen Jahr herausgegeben wurde, gezeigt. Dies Buch will ich als Beitrag zum 8. März kurz vorstellen, die folgenden Zitate stammen aus ihm.
Der Sammelband beginnt mit einer Auseinandersetzung mit der von Otto Dibelius und Marin Niemöller 1937 herausgegebenen Denkschrift: "Wir rufen Deutschland zu Gott": "Die beiden Führungsmänner der Kirchenopposition hatten in ihrem Büchlein geschrieben, die Frauenbewegung der Weimarer Republikzeit habe die Frauen bedauerlicherweise dazu verleitet, sich für die Politik zu interessieren, sich in weltlichen Vereinen zu betätigen und über Gebühr am öffentlichen Leben teilzunehmen. Darüber hinaus machten die Theologen die Frauenbewegung für den Geburtenrückgang verantwortlich. Den so zahlreich gewordenen "Fräulein Doktors" und den "großen Vereinsdamen" stellten die Bekenntnismänner die gute deutsche Mutter gegenüber, die - auch wenn sie weniger gebildet sei - Kinder gebäre und diese dann auch ordentlich erziehen würde. Letztere sei, so meinten die beiden Geistlichen, die Frau nach dem Willen Gottes.“ (S. 7)
Das rief heftigen Widerstand gerade der Frauen hervor, die sich kritisch mit der eher ausweichenden oder sogar offen „anti-judaistischen“ Position ihrer Bekennenden Kirche auseinandersetzten und in der Hilfe für die verfolgten Juden aktiv wurden. Zu ihnen gehörte auch Agnes von Zahn-Harnack, Tochter des bekannten Theologen Adolf von Harnack und eine der widerständigen Frauen, die mit der Dahlemer Bekenntnisgemeinde in engem Kontakt stand und einen eigenen Kreis um sich hatte. Sie hielt den Autoren vor, dass ihre Ausführungen „nur die minderwertige Schicht der Spießbürger erfreuen wird.“(S.8)
Ebenfalls kritisierte die frühe Frauenrechtlerin und Mitbegründerin der bürgerlichen Frauenbewegung Gertrud Bäumer diese Passage. Den Antwortbrief von Dibelius an sie, den auch Agnes von Zahn-Harnack erhielt, kommentierte von Zahn-Harnack mit den Worten: „ein schäbiger und ganz unwahrhaftiger Brief; dazu die falsche pastörliche Herzlichkeit.“ (S.9)
Die Haltung dieser „großen Männer“ der Bekennenden Kirche ist umso erstaunlicher als die BK im Wesentlichen eine „Frauenkirche“ war, nur nicht in ihrer Leitung. „Der Frauenanteil in der Bekenntnisgruppen Berlins betrug beispielsweise zwischen 70 und 80 Prozent. Die Bekenntnisgottesdienste in der Reichshauptstadt waren weitgehend Frauenversammlungen. Das gilt in gesteigertem Maß für die legendären Dahlemer Fürbittgottesdienste, die seit der Inhaftierung Martin Niemöllers Anfang Juli 1937 täglich bis Kriegsende abgehalten wurden.
Die neuartigen Bibelkreise in den hauptstädtischen Bekenntnishochburgen waren ganz überwiegend Vernetzungen kirchlich aktiver Frauen. Nur in den Leitungsorganen und Synoden dominierten die Männer. Im Berliner Bruderrat beispielsweise, der örtlichen Leitung der Kirchenopposition, saßen 20 Männer und nicht eine Frau. Unter den 139 Synodalen, die Ende Mai 1934 in Barmen die Theologische Erklärung, das maßgebliche Gründungsdokument der BK, verabschiedeten, befand sich mit Stephanie von Mackensen (Pommern) nur eine einzige Frau.“ (S.11/12)
Die Bekennende Kirche schwieg
Die Kritik an dem patriarchalischen Frauenbild, auch in der Bekennenden Kirche, verband vermutlich alle Frauen, die in dem Band vorgestellt werden. Fünf von ihnen haben direkt in Zehlendorf gelebt oder gewirkt, die meisten anderen waren in das Netz um die Bekenntnisgemeinde in Dahlem eingebunden und kannten sich alle mehr oder minder untereinander, nur bei zwei der vorgestellten Frauen scheint das nicht der Fall gewesen zu sein.
In dem Sammelband, der als Studie des Hannah-Arendt-Institut Dresden herausgegeben wurde, werden die Lebensleistungen vorgestellt von:
Elisabeth Schmitz (S. 81ff), die an dem heutigen Beethoven-Gymnasium in Lichterfelde bis zum 9. November 1938 arbeitete, zeitweise zusammen mit Elisabeth Abegg (s.u.), war nicht nur in der Unterstützung und Beherbergung Verfolgter aktiv, sondern hatte schon 1935 mit ihrer aufrüttelnden Denkschrift "Zur Lage der deutschen Nichtarier" versucht, die Bekennende Kirche zu einem klaren Wort zur „Judenfrage“ zu bewegen, was ihr leider nicht gelang. Im Jahr 2011 wurde an der Beethoven-Schule eine Gedenktafel für sie angebracht.
Elisabeth Schieman (S. 101ff), die in Dahlem wohnte und als habilitierte Biologin auch aus ihrer naturwissenschaftlichen Haltung heraus den Nationalsozialismus „von Anfang an auf das schärfste abgelehnt“ (S.105) und mit ihren profunden Kenntnissen der genetischen Forschung den rassistischen Antisemitismus der Nazis in Briefen an Niemöller u.a. widerlegt hat, sie hat als die Verfolgungen der Juden immer schärfer wurden, nicht nur Lise Meitner bei der Emigration geholfen, sondern auch vielen anderen, unterzutauchen und zu überleben.
Marga Meusel (S. 129ff), die in Zehlendorf das evangelische „Bezirkswohlfahrtsamt“ leitete und sich vor allem mit praktischer Hilfe für „evangelische Nichtarier“ und mit der Verschärfung der Verfolgung zunehmend für alle von der Deportation bedrohten Juden einsetzte.
Für sie wurde am Gemeindehaus Zehlendorf eine Gedenktafel angebracht und im August 2011 der Platz an der Sven-Hedin-Straße in Höhe der Blumentahlstraße benannt.
Ruth Wendland (S. 163ff), die schon in ihrer Jugend ihren Eltern half, in der Pfarrwohnung in der Gethsemanestraße 9 in Prenzlauer Berg Juden zu verstecken und weiterzuschleusen. Ruth Wendland war eine der wenigen ordinierte Pfarrerinnen der Bekennenden Kirche und ab 1940 in der Paulus-Gemeinde in Zehlendorf tätig. Sie wohnte ab 1944 in der Dubrowstraße 14 (damals: Schemannzeile) und setzte auch dort ihre Hilfe fort. Nach der NS-Zeit war sie u.a. als Vikarin in der Gemeinde Wannsee tätig.
Helene Jacobs (S. 191ff), die jahrelang bei dem in Nikolassee wohnenden und unter den Nazis als Jude geltenden Patentanwalt Dr. Hermann Barschall gearbeitet hat und ihm bei seiner Emigration tatkräftig half und als eine der aktivsten Helferinnen des Dahlemer Kreises auch vor „illegalen“ Mitteln wie der Beschaffung von gefälschten Pässen nicht zurückschreckte.
In Verbindung zu dem Dahlem Kreis und in ein höchst wirksames Netzwerk miteingebunden waren auch:
Agnes von Zahn-Harnack (s.o.) und Elisabet von Harnack (S. 21ff), und Elisabeth Abegg (S. 49ff), die nach dem Krieg auch zu den Gründungsmitgliedern des Zehlendorfer Nachbarschaftsheim Mittelhof e.V. in der Königstraße gehörte, das als eine Quäker-Einrichtung 1947 eröffnet wurde.
Zu diesen bekannteren Zehlendorfer „(Links)Protestantinnen“ gehören auch Gertrud Staewen, Hildegard Jacoby und Hildegard Schaeder, die in diesem Sammelband nicht berücksichtigt werden konnten.
Damit erschöpft sich aber der Kreis, der aktiven und widerständigen Frauen im Umfeld der Dahlemer Bekenntnisgemeinde nicht. Zu nennen wären sicher auch Melanie Steinmetz, Etta von Oertzen (S.204) und Susanne Dreß, geb. Bonhoeffer, die Frau des in Dahlem seit 1938 tätigen Gemeindepfarrers, Walter Dreß. Kaum bekannt und (auch in der Gemeinde) weitgehend vergessen ist dagegen Maria Gerhard, die Tochter des von 1913 bis 1931 in Dahlem tätigen „Hilfspredigers“ Wilhelm Gerhard, die von 1933 bis 1976 in der Ihnestraße 51 ein eigenes Haus bewohnte.
In diesem Haus residierte nicht nur zeitweise das Büro der Vorläufigen Kirchenleitung (VKL) der Bekennenden Kirche unter Superintendent Martin Albertz, hier versteckte Maria Gerhard auch verfolgte Juden, insbesondere auch Charlotte Friedenthal, die eine enge Freundin von Marga Meusel war und für die VKL der Bekennenden Kirche zentrale Büro- und Vertretungsfunktionen übernahm. Weil sie unter den Nazis trotz ihres evangelischen Bekenntnisses als Jüdin galt, musste sie emigrieren, was ihr auch mit Hilfe von Hans von Dohnany gelang.
Maria Gerhard ist vom Berliner Senat 1965 im Rahmen der Würdigung der „Unbesungenen Helden“ geehrt worden. Leider ist über Maria Gerhard bisher (zu) wenig bekannt, daher suche ich nach Menschen, die sie noch gekannt haben oder etwas über sie wissen. Bitte melden!
Diesen protestantischen Frauen ist weitgehend gemeinsam, dass Sie nicht nur in der „Judenfrage“ deutlich aktiver und widerständiger waren als die Mehrheit in der Bekennenden Kirche -auch in Dahlem-, sondern dass sie auch mit dem patriarchalischen Gehabe in ihrer Kirche nicht einverstanden waren. Sie waren sehr eigenständige Frauen, selbstbewusst und selbständig, auch weil sie alle sich durch eine eigene berufliche Tätigkeit auswiesen und ihren Lebensunterhalt selber sichern mussten.
Insofern ist an die „Zehlendorfer Protestantinnen“ am 8. März nicht nur wegen ihres großen Engagements in der „Judenfrage“, sondern auch in der „Frauenfrage“ zu erinnern und ihnen zu danken.
Der Autor Dirk Jordan (69) war lange Jahre Volksbildungsstadtrat in Kreuzberg und lebt in Schlachtensee. Sie erreichen ihn über seine Homepage oder den Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.
Tagesspiegel, 19.11.2015, von Manfred Gailus
Die couragierte Berliner Studienrätin Elisabeth Schmitz’ schrieb 1935 eine aufrüttelnde Denkschrift gegen die Judenverfolgung. Sie versuchte die Kirche aufzurütteln - vergebens.
Anfang September 1935 überreichte die Berliner Studienrätin Elisabeth Schmitz einem namentlich nicht genannten Pfarrer ihre Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“. Der aus Gründen der Konspiration nicht beim Namen genannte Pfarrer dürfte Gerhard Jacobi von der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gewesen sein, deren Bekenntnisgemeinde Schmitz angehörte. Die promovierte Historikerin schrieb ihr Memorandum zu einem Zeitpunkt, als eine neue Welle nationalsozialistischer Gewalt gegen Juden durch das Land ging. In Berlin fanden antijüdische Krawalle auf dem Kurfürstendamm statt, direkt vor der Haustür der Gedächtniskirche.
Schon 1933 bat sie um Hilfe für die Entrechteten
Notgedrungen hatte Schmitz ihren brisanten Text anonym verfasst und übergab ihn nun – im Vorfeld der Mitte September 1935 beschlossenen „Nürnberger Rassengesetze“ – einem führenden Pfarrer der Kirchenopposition mit der Absicht, die Bekennende Kirche (BK) möge sich als Ganze für die Verfolgten einsetzen. Bereits seit April 1933 hatte Schmitz prominente Theologen und Kirchenführer aufgefordert, die Kirche möge für die Entrechteten und Verfolgten ihre Stimme erheben – vergeblich.
Jetzt schildert Schmitz die „Aufhetzung der öffentlichen Meinung“. Sie berichtet über antijüdische Gewalt und zitiert Reden prominenter NS-Führer. Sie informiert über rassistische Maßnahmen und Kundgebungen im Gesundheitswesen und der Ärzteschaft. Ihre Sensibilität an dieser Stelle war besonders ausgeprägt, da ihre Freundin, die „nichtarische“ Ärztin Martha Kassel, ihre berufliche Existenz verloren hatte. Schmitz zitiert ferner die unsäglichen Auslassungen des Brandenburger Oberpräsidenten Wilhelm Kube über die ,Verjudung‘ des Kulturlebens. Faktisch war Kube Vorgesetzter der im Staatsdienst stehenden Studienrätin.
Was wird aus einem Volk, das solche Martyrien duldet?
Das Gewerbe des Ehrabschneiders und Verleumders, kommentiert Schmitz, gelte seit jeher als das erbärmlichste und verächtlichste. Unter „Folgen der Verhetzung“ schildert sie die Lage der Kinder. Die Lehrerin versammelt hier Erlebnisse aus ihrem Schulalltag. Ein Lehrer habe in seiner Schulklasse immer wieder die Kinder aufgerufen: Wer ist „nichtarisch“? Er habe das einzige „nichtarische“ Kind aus einer angesehenen evangelischen Familie immer wieder gezwungen, aufzustehen. Es musste von der Schule genommen werden. Was, fragt Schmitz, solle nur aus den Seelen dieser Kinder werden und was aus einem Volk, das solche Kindermartyrien dulde?
Schmitz beschreibt auch die Folgen der NS-Gesetzgebung: Existenznot durch Entlassungen infolge des Berufsbeamtengesetzes, wirtschaftliche Not durch Boykott der Geschäfte. Hier sei ein wütender Konkurrenzkampf entbrannt, in dem der Schwächere brutal zu Boden getreten werde. Es sei keine Übertreibung, mahnt Schmitz schon 1935, wenn von einem Versuch der Ausrottung des Judentums gesprochen werde. Schließlich fragt Schmitz: „Warum tut die Kirche nichts? Warum lässt sie das namenlose Unrecht geschehen? Sollte denn alles das, was mit der heute so verachteten Humanität schlechterdings unvereinbar ist, mit dem Christentum vereinbar sein?“
"Es geht um die Existenz von Hunderttausenden"
Vermutlich kursiert das anonyme Papier anfangs nur in wenigen Exemplaren. Schmitz schreibt eine Ergänzung „Folgen der Nürnberger Gesetze“ und stellt 200 Exemplare der erweiterten Schrift her, die sie reichsweit an kirchliche Stellen verteilt. Im Nachtrag berichtet sie über die Praxis der „Nürnberger Gesetze“ im Alltag: Ehe, Reichsbürgergesetz, Schule und Kinder, Arierparagraf in der Wirtschaft. Sie charakterisiert die deutschen Verhältnisse als „kalten Pogrom“ und belegt die übergroße Sterblichkeit in jüdischen Gemeinden mit konkreten Zahlen. Bezugnehmend auf die Osterbotschaft der BK, in der das Wort für die „Ehre des Wehrlosen“ ergriffen wurde, schlussfolgert sie kritisch: „Hier aber geht es längst schon nicht mehr um die Ehre. Es geht um die Existenz von Hunderttausenden, es geht um das nackte Leben.“
Schmitz verweigerte den Schuldienst aus Gewissensgründen
Diese Schrift stellte die NS-Politik an einem zentralen Punkt, der Rassenpolitik, fundamental infrage. Auch Dietrich Bonhoeffer kannte den Text und schickte ihn an einen befreundeten Pfarrer in London. Die Wirkungen indessen waren begrenzt: Keine der vielen von Schmitz informierten Stellen der Kirchenopposition wagte es, damit an die Öffentlichkeit zu treten.
Nach dem Novemberpogrom 1938 weigerte sich die Lehrerin aus Gewissensgründen, weiterhin in der Schule eines Staates zu unterrichten, dessen Regierung die Synagogen in Brand stecken lasse. Zusammen mit ihrer vor der Emigration stehenden Freundin Martha Kassel hörte sie eine Woche nach dem Pogrom die Bußtagspredigt von Helmut Gollwitzer in Dahlem. Nach der Predigt schreibt sie dem Pfarrer: So, und nur so, könne und dürfe nach allem, was geschehen sei, eine christliche Gemeinde zusammenkommen. „Als wir zum 1. April 33 schwiegen, als wir schwiegen zu den Stürmerkästen, zu der satanischen Hetze in der Presse, zur Vergiftung der Seele des Volkes und der Jugend, zur Zerstörung der Existenzen und der Ehen durch sogenannte ,Gesetze‘, zu den Methoden von Buchenwald – da und tausendmal sonst sind wir schuldig geworden am 10. November 1938.“
Riskantes Schreiben an die Schulverwaltung
Nach Ankündigung der Regierung sei die völlige Trennung zwischen Juden und Nichtjuden geplant, Gerüchte gingen um, dass ein Zeichen an der Kleidung beabsichtigt sei, schreibt Schmitz. „Ich bin überzeugt“, schließt sie, „dass mit dem letzten Juden auch das Christentum aus Deutschland verschwindet.“
Durch ein riskantes Schreiben an die Schulverwaltung beantragte Schmitz Ende Dezember 1938 ihre Versetzung in den Ruhestand, da sie aus Gewissensgründen den Unterricht in ihren “rein weltanschaulichen Fächern” Religion, Geschichte und Deutsch nicht weiter so erteilen könne, wie der NS-Staat dies von ihr erwarte. Sie wurde zum 1. April 1939 im Alter von 45 Jahren frühpensioniert. Sie engagierte sich nun, mehr noch als zuvor, im Rettungswiderstand. Schmitz wusste bald sehr genau, welches Schicksal die „Evakuierten“ im Osten erwartete. Im November 1943 brannte ihre Wohnung Luisenstraße 67 nach Bombentreffern aus. Schmitz zog sich in ihr Elternhaus nach Hanau zurück. Nach dem Krieg kehrte sie dort noch einmal in den Schuldienst zurück.
Yad Vashem ehrte sie als "Gerechte unter den Völkern"
Von ihrer Denkschrift sprach sie in der Öffentlichkeit nicht. In der Berliner Kirche, die weithin von antisemitischen Deutschen Christen beherrscht wurde, gehörte sie zu den wenigen Klarsichtigen, die widerstanden. Nach dem Krieg war sie dort für viele Jahrzehnte vergessen. Eine angemessene Würdigung erfuhr Schmitz zeitlebens nicht. Sie starb 1977 im Alter von 84 Jahren.
Das Rätsel um die Verfasserschaft der anonymen Denkschrift konnte erst um das Jahr 2000 aufgelöst werden. Seither wird Schmitz für ihr mutiges Wirken im „Dritten Reich“ geehrt. 2011 anerkannte die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem Schmitz als „Gerechte unter den Völkern“.
Am Montag, 23. November 2015, findet um 20 Uhr in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche eine Veranstaltung zur Würdigung der Denkschriftautorin statt, bei auch der Autor dieses Artikels, Manfred Gailus, sprechen wird. Daniela Schadt, Lebensgefährtin von Bundespräsident Gauck und wie Elisabeth Schmitz gebürtige Hanauerin, wird den Abend mit einem Grußwort eröffnen.